Im Kampf gegen den geplanten Polder verspürt Altrip schon länger Rückenwind aus Brüssel. Nun ist die Brise noch einmal kräftiger geworden: Der Anwalt der Gemeinde hat nach eigenen Angaben Post von der EU-Kommission bekommen. Sie will sich wegen des Polder-Streits mit der Bundesrepublik Deutschland anlegen.
Altrip/Brüssel. Die Bundesrepublik Deutschland bekommt Ärger mit der EU-Kommission. Wegen des Altriper Polder-Streits. Und wegen des Streits um spektakuläre Projekte wie den Neubau des Berliner Flughafens, den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder Stuttgart 21. Für all diese Auseinandersetzungen, so erläutert es der Würzburger Rechtsanwalt Wolfgang Baumann, ist Altrip ein Musterfall. Weil der Polder-Streit schon so lange geführt wird, und weil es um ein Problem geht, das auch die anderen Projekte betrifft: die Präklusionsfrist. Hintergrund: Wer gegen ein Großvorhaben klagt, kann sich nur auf Argumente berufen, die er vorher in der offiziellen Einwendungsfrist vorgebracht hat. Die beträgt in anderen EU-Ländern bis zu drei Monate, sagt der Jurist. In Deutschland dagegen hat man gerade einmal zwei Wochen. Was das heißt, macht Baumann am Beispiel eines Altriper Landwirts deutlich, der sich juristisch gegen das Polder-Projekt wehren wollte.
Was das Hochwasserbecken für Bauern bedeute, habe der Mann sofort erklärt. Doch wie es sich für die Natur auswirkt, das habe er in so kurzer Zeit unmöglich zusammentragen können. Zumal er Feinheiten des Umweltrechts hätte beachten müssen, die ein Normalbürger gar nicht wissen könne. Doch das habe in Deutschland bislang niemanden interessiert. Wie gewichtig auch immer sei, was jenseits der Zwei-Wochen-Spanne vorgebracht wird – es finde vor Gericht keine Beachtung mehr.
Im Oktober 2012 hat sich Baumann deshalb im Auftrag der Gemeinde Altrip bei der EU-Kommission beschwert: Die Frist sei zu kurz, das „beschränke die Beteiligungs- und Klagerechte betroffener Bürger in unzulässiger Weise“. Und am Mittwoch hat die Würzburger Kanzlei nach eigenen Angaben Post aus Brüssel bekommen, aus der hervorgeht: Die Kommission sieht das genauso. Deshalb wolle sie den Altriper Fall jetzt in ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik mit einbeziehen.
Was das konkret heißt? Deutschland muss die einschlägigen Gesetze schleunigst ändern, sagt Baumann. Andernfalls verklage die Kommission die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof. Und die Folgen für den schon seit Jahren durch die deutschen Gerichtsinstanzen wandernden Fall Altrip? Nach Einschätzung des Anwalts hat Brüssel nun bestätigt: Dass die Behörden ignorierten, was jenseits der Zwei-Wochen-Frist noch vorgebracht wurde, war ein Verfahrensfehler.
Um den zu reparieren, müsse das Genehmigungsverfahren für das etwa 265 Hektar große Rückhaltebecken komplett neu aufgerollt werden. Auch das werde die EU-Kommission zur Not über den Europäischen Gerichtshof erzwingen, meint Baumann. „Wenn wir selbst nicht sogar schneller sind.“
(Quelle: DIE RHEINPFALZ vom 10.05.2013 / Christoph Hämmelmann)
siehe auch "So steht es um die Klage der Gemeinde"