Die Vertreter der EU-Kommission stärken der Gemeinde Altrip und damit auch der Bürgerinitiative „Hochwasser- und Naturschutz" (BIHN) den Rücken. Mit diesem Eindruck kehrten Altrips Bürgermeister Jürgen Jacob, Büroleiter Joachim Loch und etliche Mitglieder der BIHN am 16. Januar aus Luxemburg zurück. Dort, am Europäischen Gerichtshof auf dem Kirchberg, ging der Streit um den Polder in Altrip in die nächste Runde.
Bereits seit Sommer 2006 wehrt sich die Gemeinde gegen den Bau von Poldern, mit denen der Hochwasserschutz für die Städte Mannheim und Ludwigshafen gewährleistet werden soll. Die 8000 Bewohner Altrips müssten allerdings um ihr Hab und Gut fürchten. Auf einer Fläche von etwa 265 Hektar soll ein Rückhaltebecken für rund 9,2 Millionen Kubikmeter Rheinwasser entstehen. Bislang gestaltete sich der Weg der Gemeinde Altrip durch die juristischen Instanzen eher schwierig. Die Verwaltung hatte u.a. in der von der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD) vorgelegten Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gravierende Mängel ausgemacht. Dazu gehörte unter anderem die fehlerhafte Erfassung geschützter Arten. Beispielsweise war der unter Naturschutz stehende Hirschkäfer gar nicht aufgeführt worden. Aber nach deutschem Recht ist eine Überprüfung der Inhalte der UVP nicht zulässig. Dennoch waren die im Dezember 2007 die Klagen der Gemeinde Altrip und mehrerer Privatpersonen am Verwaltungsgericht in Neustadt gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 20. Juni 2006 über die Hochwasserrück-haltung Waldsee/Altrip/Neuhofen abgewiesen worden. Nachdem die Gemeinde Altrip zunächst keine weiteren juristischen Schritte geplant hatte, beauftragte sie nach einem erneuten Ratsbeschluss ihren Anwalt Wolfgang Baumann aus Würzburg beim Oberverwaltungsgericht in Berufung zu gehen. Das war im Februar 2008. Nachdem die Kommunalaufsicht die Rücknahme des Ratsbeschlusses wegen „mehrerer Verstöße gegen die Gemeindeordnung" verfügt hatte, wurde die Debatte zunächst im Gemeinderat weitergeführt und mehrmals abgestimmt.
Die nächste juristische Hürde wurde am 12. Februar 2009 am rheinland-pfälzischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Koblenz in Angriff genommen. Dort wurde die Klage allerdings erneut abgewiesen. Eine Revision wollte das OVG zunächst nicht zulassen, dieser Beschluss wurde jedoch im Januar 2010 aufgehoben. Damit war der Weg für das Revisionsverfahren am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geebnet. Die Leipziger Richter wollten allerdings Klarheit, ob deutsches Recht in diesem Fall mit europäischem Recht vereinbar ist. Sie riefen den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg an.
Für die Gemeinde Altrip und die vielen Mitglieder der BIHN war der Besuch in Luxemburg ein besonderes Erlebnis, nicht zuletzt deshalb weil die EU-Kommission offensichtlich an der Seite der Poldergegner steht, was Dr. Günter Wilms in seiner Stellungnahme klar vermittelte. Er stützte die Ausführungen des Rechtsvertreters der Gemeinde Altrip, Wolfgang Baumann. Dabei berief er sich unter anderem auf die Aarhus-Konvention, ein im Juni 1998 unterzeichneter völkerrechtlicher Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt. Die Rechte bestehen in der Information über Umweltfragen, in der Beteiligung an Verwaltungsverfahren zu Projekten mit Umweltauswirkungen sowie in der Möglichkeit, Klage gegen Umweltbeeinträchtigungen zu führen. Damit wird jedem Bürger das Recht auf Klage eingeräumt.
Der Europäische Gerichtshof hatte bereits im Mai 2011 der Bundesrepublik Deutschland eine herbe Absage erteilt. Damals hatte die Bundesregierung versucht, die Verbandsklage zu beschneiden. Das Gericht stellte klar, dass die Aarhus-Konvention und der EU-Mindeststandard eingehalten werden müssen. Die Richter in Luxemburg machten darüber hinaus deutlich, dass das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz in seiner jetzigen Fassung die vom Europarecht garantierten Standards verletzt. Die Klage ins Rollen gebracht hatte damals der Umweltverband BUND.
Im aktuellen Fall, das Vorabentscheidungsersuchen C-72/12 der Gemeinde Altrip mit zwei Privatklägern hatte lediglich Irland der Bundesrepublik den Rücken gestärkt. Die Argumente des Landes Rheinland-Pfalz und der BRD vertrat Rechtsanwältin Ariane Wiedmann, die nach ihren Ausführungen etliche Fragen von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón beantworten musste, ebenso ihre irische Kollegin Eileen Creedon. Dass die Verhandlung so viele Besucher gelockt hatte, lag wohl auch daran, dass sich der Ausgang des Verfahrens auf alle 27 Mitgliedsstaaten der europäischen Union auswirken wird, begründete Wolfgang Bauer das Interesse und wertete die Haltung der EU-Kommission durchweg positiv: „ Das ist schon mal nicht schlecht". Mit einer Entscheidung rechnet er noch in diesem Jahr. Zuvor wird der Generalanwalt jedoch am 25. April dem Gericht unter Vorsitz von Präsidentin Rosario Silva de Lapuerta seine Anträge vorlegen. Sollte die Entscheidung zugunsten der Gemeinde Altrip ausfallen, musste das Oberverwaltungsgericht den Fall wieder an das Oberverwaltungsgericht in Koblenz verweisen, wo das Verfahren dann neu aufgerollt wird. Es bleibt also spannend.
(16. Januar 2013 / Dorothee Limburg-Stemmler)