BürgerInitiative Hochwasser- und Naturschutz

Altrip e.v.

16. November 2008

Sprechstunde des Ministerpräsidenten / AZ 02610-1113/05

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Beck,

nach unserem als sehr positiv empfundenen Besuch in Ihrer Bürgersprechstunde am 17.8.2008 in Steinfeld hat das BIHN - Mitglied Willi Schneider am 17.10.2008 einen Antwortbrief aus der Feder von Herrn Hans-Jürgen Becker erhalten.

Zu diesem Brief haben wir einleitend Folgendes zu bemerken: 
Von den sechs am 17.8.2008 vorgetragenen Punkten (Kosten, Naturschutzverletzungen, Einschnürung des Rheinbettes im Ballungsgebiet LU/MA, Katastrophenschutz-Defizite, Wirksamkeitsberechnungen, persönliche Betroffenheit von Herrn Willi Schneider) werden nur die Punkte 3 und 4 behandelt. Wir müssen uns daher heute auf die Ausführungen von Herrn Becker zu diesen Punkten beschränken, die wegen ihrer Unvollständigkeit eine Replik erfordern, würden uns aber freuen, wenn wir auch zu den übrigen Punkten eine Stellungnahme bekämen.

 
Zur Einschnürung des Rheinbettes im Ballungsgebiet LU/MA

Hierzu haben Sie selbst und jetzt auch Herr Becker auf die Dohlwiese und die dort beabsichtigte Kompensation der rheineinschnürenden Baumaßnahmen in LU hingewiesen. Die lediglich durch einen m³-Vergleich plausibel gemachte – angebliche – (Über)kompensation darf man aber unserer Ansicht nach nicht nur verbal behaupten. Herr Becker hat genau dies der BIHN vorgehalten ("Die Aussagen der Bürgerinitiative sind demnach nicht haltbar"). Das Gleiche gilt für seine Aussage, solange sie nicht – dem Stand der Technik entsprechend – durch Wirksamkeitsberechnungen schwarz auf weiß nachgewiesen wird.

Diese Berechnungen haben wir bei der SGD Süd angefordert (siehe das in der Anlage beigefügte Schreiben an die SGD Süd, in dem wir die – unserer Ansicht nach entscheidende – Frage der Kompensation eines Eingriffs an einer hochsensiblen Stelle (= 200 m Strombreite) an einer weit weg liegenden, unsensiblen Stelle (= 800 m Strombreite) thematisiert haben. Die Antwort vom 31.10.2006 geht nicht auf Wirksamkeitsberechnungen ein. Sie enthält lediglich Unbedenklichkeitserklärungen. 

Wir bitten Sie daher, Ihre Behörde in Neustadt/W. anzuweisen, dass diese Wirksamkeitsberechnungen durchgeführt und herausgegeben werden. Am Polderstandort Altrip (9 Mio. m³) hatten derartige Berechnungen gezeigt, dass eine durchschnittliche Rheinpegel-Absenkung von 4 cm (entsprechend 41 bis 44 m³/s) erwartet werden kann. Wenn Sie den Dohlwiesen-Polder mit seinen 67.000 m³ dagegenhalten, können Sie ausrechnen, dass er nur 0,3 mm Rheinpegelabsenkung erwarten lässt. Dabei ist sogar unterstellt, dass er wie der Polder Altrip gesteuert betrieben wird. Als ungesteuerter Polder wird in der Realität seine Wirksamkeit nochmals auf etwa 1/5, d.h. auf Werte unter 0,1 mm herabgesetzt. Dieser Wert ist kleiner als die Kräuselung des Rheinspiegels durch einen Windhauch.

 
Zu Katastrophenschutz-Defizite (Fluchtwege): 

Die Ausführungen von Herrn Becker zur Katastrophenschutz- und Fluchtwege-Problematik beziehen sich nur auf die K 7 (Kreisstraße nach Rheingönheim, Deich - km 17,97 bis 20,37). 

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die genannten Fakten zum Teil einem ganz anderen Planfeststellungsverfahren angehören (Deichrückverlegung und Pumpwerk an der Rehbachmündung von Deich -km 20,370 bis Deich - km 21,300, Deichabteilung III, in den Gemarkungen Neuhofen und Rheingönheim Az. 312/566-211 – Ne 2/07; Planfeststellungsbeschluss (PFB) vom 22.10.2008). Im Planfeststellungsverfahren zum Polder Altrip hingegen wurden Fluchtwege resp. Katastrophenschutzbelange überhaupt nicht behandelt. Dies ist schon vom Verfahren her zu beanstanden.

Inhaltlich ist Folgendes zu beanstanden: Im oben zitierten Planfeststellungsverfahren wird der Bermenweg am neuen zurückverlegten Rheinhauptdeich (zwischen Rehbach und altem Schöpfwerk am Neuhofener Altrhein) für Katastrophenschutzbelange und als Fluchtweg vorgesehen, aber nur mit  einer Breite von 4,75 m ausgeführt. Er muss aber den Straßenverkehr von und nach Rheingönheim zusätzlich zur prioritären Deichverteidigung verkraften. 
Die beschlossenen 4,75 m machen eine Begegnung von Lkw und/oder Bussen unmöglich. Von der Inanspruchnahme des Bermenweges durch die Deichwehr und/oder einen Schwerlastverkehr oder gar von einer Vollsperrung bei Deichdurchweichung ganz zu schweigen. 

Der seinerzeitige Antrag des Altriper Bürgermeisters Jacob auf 6 m Breite wurde abgelehnt. Wenn die Gemeinde Altrip dies hinnimmt, könnte ihr im Berufungsverfahren vor dem OVG Koblenz vorgehalten werden, dass sie ja selbst durch schweigende Hinnahme die Katastrophenschutzbelange für ausreichend berücksichtigt gehalten hat. Dann wäre Altrip erneut (wie schon beim Naturschutz) in einer Falle gelandet. 

Wir können leider nicht unterscheiden, ob dieses abenteuerliche Geschehen aus Raffinesse oder aus Unfähigkeit gespeist wird. Eines können wir jedoch überhaupt nicht verstehen: Dass eine Gemeinde und ihre Bürger, die bereits 378.000 Euro im Rechtsstreit mit dem Land Rheinland-Pfalz aufwenden mussten, jetzt in einen weiteren Prozess gedrängt werden.

 
Zum Schreiben von Herrn Becker ist darüber hinaus im Detail zu sagen: 

Trotz der grundsätzlich anerkennenswerten Problemlösungsbemühung bleiben eine Menge Probleme bestehen:

  1. Die Nutzung der von Herrn Becker nicht erwähnten K 13 (Kreisstraße nach Waldsee) ist ebenfalls problematisch, weil sie im potenziellen Vernässungsgebiet (siehe rot schraffierte Bereiche auf dem in der Anlage beigefügten Plan) verläuft und mangels eines einschlägigen Nachweises der Sicherheit nicht sicher verfügbar ist.
  2. Die K 7 (Kreisstraße nach Rheingönheim) verläuft über eine größere Strecke auf dem Rheinhauptdeich, dessen Standfestigkeit nicht gewährleistet ist: "Die in den Normen geforderte Sicherheit [wird] bereits ab einem Wasserspiegel von 93,75 m NN nicht mehr eingehalten" (Becker) und: "Die Standsicherheit des ehemaligen Rheinhauptdeiches ist im Hinblick auf seine Funktion als Straßendamm für die K 7 auch für den Lastfall des beidseitigen Einstaus nachzuweisen" (NB 1.10 des PFB). Wenn dieser Nachweis – insbesondere für Worst - Case-Situationen – nicht gelingt, muss der Bermenweg in der Zeit der höchsten Gefahr den Ausfall der K 7 alleine verkraften. Dort können sich Lkw und/oder Busse aber nicht begegnen und machen der Deichverteidigung ihren lebenswichtigen Bermenweg streitig. Nach unserer Ansicht muss aber – wie überall an Hauptdeichen und im vorliegenden Fall ganz besonders wegen der nahezu vollständigen Deichumzingelung von Altrip und der nicht völlig ausschließbaren Gefahr einer schnellen Überflutung des gesamten Ortsgebietes bei einem Deichbruch – die Deichverteidigung absolute Priorität haben. Dies lässt ab einem bestimmten Rheinpegel und bei einem längeren Einstau eine anderweitige Nutzung der Deichberme als zu Deichwehrzwecken als nicht verantwortbar erscheinen. Damit wird das Becker'sche Szenario zur Makulatur.
  3. Schon bei der bloßen Gefahr eines Deichbruchs müssten 8.000 Menschen in kurzer Zeit aus Altrip evakuiert werden. Dies stellt zusätzlich zum Sicherheitsproblem ein echtes Kapazitätsproblem dar, das behördlicherseits überhaupt nicht behandelt wurde.
  4. Völlig unbehandelt bleibt auch die Frage, auf welchen Wegen im Bedarfsfall – z.B. im Falle der von Herrn Becker zu Recht angeführten Untersagung von Fahrten mit "Schwerstfahrzeugen der Klasse SLW 60" – Schwersttransporte (zu denken wäre dabei an Notstromaggregate und Ersatzpumpen für die Schöpfwerke, an schwere Kräne und Räumfahrzeuge bis hin zu Bergungspanzern der Bundeswehr) erfolgen sollen.

 
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Beck,

Sie erkennen aus den wenigen Beispielen, wie vertrackt sich Problemlösungen am Standort Altrip wegen seiner herausragenden Ungeeignetheit gestalten. Dabei haben wir in Ihrer Sprechstunde und in der heutigen Replik nur einen Teil der Probleme ansprechen können. Wir haben eine vollständige Aufzählung immer wieder – zuerst im Planfeststellungsverfahren, zuletzt auch vor Gericht – vorgetragen. Keiner will sie zur Kenntnis nehmen. 

Trotz dieser enttäuschenden Behandlung ernster Bedenken und Sorgen um Hab und Gut, Leib und Leben möchten wir einen Hinweis auf die Lösung der Problematik geben: 

Das von der Landesregierung überarbeitete modernisierte Hochwasserschutzkonzept mit den beiden Reserveräumen für Extremhochwasser zum Schutz von LU/MA und Mainz lässt es sinnvoll erscheinen, durch Verzicht auf den Standort Altrip der praktischen Unlösbarkeit der dortigen Probleme Rechnung zu tragen. Die staatsvertraglich garantierten 44 Mio. m³ am rheinland-pfälzischen Oberrhein werden dadurch nicht tangiert, weil auch ohne Altrip über 80 Mio. m³ für den Hochwasserschutz zur Verfügung gestellt werden. Außerdem wird der Staatshaushalt um mindestens 45 Mio. Euro entlastet.

Wir bitten Sie höflich um Kenntnisnahme dieser Fakten und Hinweise.

Mit freundlichen Grüßen
Dorothee Limburg-Arnold

 

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